ERKENNE DICH SELBST
Der achtgliedrige Yogapfad (Ashtanga-Yoga), der im Yogasutra des Patanjali beschrieben ist, stellt den klassischen Yogaweg dar. Er reicht von Verhaltensregeln über Asanas und Pranayama bis hin zur höchsten meditativen Versenkung, dem Zustand von Samadhi. In diesem Zustand kann der Mensch sein wahres Wesen erfahren.
Im alten Indien ging man diesen Weg traditionell unter Anleitung eines Gurus. Und man hatte zur Aufgabe zunächst eine Stufe vollkommen zu meistern bevor man an die nächste herangeführt wurde. Im Westen steigen wir in der Regel erst mit dem dritten Glied, den Körperübungen ein, ohne durch die ersten beiden Glieder, wirklich vorbereitet zu sein. Letztlich führt aber erfahrungsgemäß eine intensive Yogapraxis automatisch an die Themen der Yamas und Niyamas heran. Wenngleich sich dieser "umgekehrte" Weg, nicht immer als leicht herausstellt, kann er dennoch ebenso beschritten werden.
1. YAMA - Verhalten gegenüber der Mitwelt
Das erste Glied des im Yogasutra beschriebenen achtfachen Yogaweges umfasst die ethischen Grundlagen, die wir im Umgang mit unseren Mitgeschöpfen beherzigen sollten:
2. NIYAMA - Innere Einstellung
Das zweite Glied des achtfachen Pfades bezieht sich auf die Selbstbeherrschung und die innere Ausgeglichenheit. Teilweise spiegeln sich die als Yama nach außen praktizierten Verhaltensweisen hier als innere Haltung wider. Die fünf Regeln und Übungen, welche zu diesem Aspekt gehören, sind:
3. ASANA - Körperhaltung
Im dritten Glied des achtfachen Pfades geht es um die Körperhaltung, die der Yogi im Zuge der Selbsterforschung und Transformation einnimmt. Laut Patanjali soll eine Asana stabil und angenehm (sthira-sukha) sein.
4. PRANAYAMA - Atem- und Energiekontrolle
Die Atemtechniken des Yoga bilden das vierte Glied des achtfachen Pfades. PRANA bezeichnet aber nicht nur den Atem, sondern auch die subtile Lebensenergie, die alles Lebendige durchströmt. Die Pranayama-Übungen wirken sich harmonisierend und stärkend auf das bioenergetische Feld des Körpers und auf das Bewusstsein aus. Sie schaffen im Yogi die Voraussetzung, erweiterte Bewusstseinszustände erfahren und ertragen zu können.
5. PRATYAHARA - Zurückziehen der Sinne
Der Rückzug der Sinne stellt in Patanjalis Ashtanga-Yoga das fünfte der acht Glieder dar. Die Sinneswahrnehmungen werden als Vorstufe zur Meditation von den äußeren Objekten abgezogen, die Wahrnehmung strömt verstärkt nach innen in einen Raum der Stille. Pratyahara ist eine wichtige Übung, um die nachfolgenden Schritte des achtfachen Pfades leichter zu erreichen.
6. DHARANA - Konzentration
Dharana, das sechste Glied, ist die beständig fließende Konzentration auf ein gewähltes Objekt. Die Aufmerksamkeit wird gebündelt, wobei man - anders als bei der gewöhnlichen Konzentration des Verstandes im Zuge einer intellektuellen Arbeit - jedoch zugleich entspannt und gelassen bleibt. Dharana ist ebenfalls eine Vorstufe zur Meditation,
7. DHYANA - Meditation
Beim siebten der acht Glieder des Yogapfades ist man in der meditativen Versenkung, Dhyana, angelangt. Die körperlichen, emotionalen und mentalen Fluktuationen ebben ab, das Objekt der Meditation beginnt den ganzen Bewusstseinsraum zu erfüllen. Gleichzeitig ist der Meditierende tief in sich ruhend und vollkommen präsent.
8. SAMADHI - Verschmelzung
Wenn die Meditation so tief wird, dass die mentalen Wellen vollkommen zum Erliegen kommen hat man den Zustand der Ekstase, des Samadhi, die letzte Stufe des achtfachen Pfades, erreicht. Hier beginnt der Mensch, sein wahres Wesen zu erkennen.
Bei diesem Gipfel yogischen Strebens unterscheidet Patanjali zwischen bewusster, formbegleiteter Ekstase (Samprajnata-Samadhi) - welche noch mit dem seligen "Ich-bin"-Gefühl einhergeht - und überbewusster, formloser Ekstase (Asamprajnata-Samadhi). Letzeres bedeutet die Auslöschung aller die Erscheinung bildenden, dualen Kräfte, ein ALL-EINSwerden mit dem reinen Sein, außerhalb dessen es nichts gibt.